DKG über das BSG-Urteil zur Frühchen-Versorgung

Schwarze Tage für die Beatmungsmedizin

Mit seiner aktuellen Rechtsprechung zu Beatmungsleistungen bei Frühgeborenen hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts erneut eine Entscheidung gegen fundierte medizinische Erkenntnisse getroffen. Dazu erklärt der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Georg Baum: „Die weltweit etablierte HFNC-Therapie (High Flow Nasal Cannula) als besonders schonendes Verfahren der Atemunterstützung eines Frühchens nicht als der konventionellen Beatmung gleichwertig anzuerkennen, ist ein weiteres Urteil, das die Versorgungsqualität außer Acht lässt. Kliniken, die zum Wohle der kleinsten Patienten möglichst das weniger belastende Verfahren anwenden, werden in eine finanzielle Schieflage gebracht. Die Kassen, die solche Klagen anstreben, müssen sich fragen lassen, ob sie nicht selbst zu ökonomischen Fehlanreizen beitragen.”

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Hintergrund ist, dass die Zahl der Beatmungsstunden für die Vergütungseinstufung im Fallpauschalensystem relevant ist. Während bei der Festlegung der für die Abrechnung genutzten Kodierrichtlinien und der darin vorgegebenen Stundenzählung nicht zwischen unterschiedlichen Formen der Beatmung und der Atmungsunterstützung bei Neugeborenen unterschieden wurde, verneint nun das BSG die Anerkennung des schonenderen Verfahrens bei der Zählung der Beatmungsstunden. Für die Krankenhäuser geht es dabei um mehrere 100 Millionen Euro.

Im vorliegenden Fall wurde über die sehr aufwendige Beatmungstherapie sowohl eines Frühchens mit einem Geburtsgewicht von 1335 Gramm als auch eines fünf Monate alten Säuglings verhandelt. Beide Patienten wurden in den jeweiligen Krankenhäusern mit der in der Neonatologie und Neugeborenen-Intensivmedizin weltweit etablierten HFNC-Therapie behandelt.

In der Hand erfahrener neonatologischer/pädiatrischer Intensivmediziner kann durch HFNC der Einsatz invasiverer und komplikationsreicherer Beatmungsmethoden oftmals vermieden werden. Für Fachexperten ist die HFNC aufgrund ihrer zahlreichen Vorteile aus der Beatmungstherapie von Frühgeborenen, Neugeborenen und Säuglingen nicht mehr wegzudenken.

„Wieder einmal hat das BSG die Intention der zugrundeliegenden Regelwerke vor dem Hintergrund eines Vergütungsrechtsstreits zugunsten der Krankenkassen fehlgedeutet und auch durch Experten vorgetragene medizinische Sachverhalte in keiner Weise berücksichtigt“, erklärt Georg Baum.

Ein weiteres Verfahren trägt auf ähnliche Weise die irritierende Handschrift des BSG. In diesem Verfahren wurde die höchstrichterliche Feststellung getroffen, dass Beatmungsentwöhnungsverfahren bei der Abrechnung nicht anerkannt werden können, wenn nicht nachgewiesen ist, dass der Patient an die Beatmung „gewöhnt“ war. Ohne diesen Zustand, so die Ansicht des BSG, sei eine Entwöhnung nicht gegeben. „Diese in der Fachwelt mit erheblicher Irritation aufgenommene, fast schon skurril anmutende Interpretation medizinischer Sachverhalte und Begrifflichkeiten ist eine erschreckende Loslösung der Rechtsprechung von der täglichen Versorgungspraxis. Solche Urteile konterkarieren hochspezialisierte Leistungen von Ärzten und Pflegekräften zum Wohle intensivmedizinisch versorgter Patienten. Die Finanzierung der Entwöhnung nur bei nachgewiesener Gewöhnung verkennt die medizinischen Zusammenhänge und setzt völlig falsche Anreize“, so Georg Baum.