AOK

Gefälscht, erfunden und fingiert

Zahlen zum Fehlverhalten im hessischen Gesundheitswesen

In den vergangenen beiden Jahren hat das Team Fehlverhaltensbekämpfung der AOK Hessen 650 Neufälle bearbeitet. Schäden in Höhe von über 3,5 Mio. Euro wurden im Zusammenhang mit betrügerischem Handeln 2022 und 2023 festgestellt. Dabei geht es oft um „Luftleistungen“, Doppelabrechnungen, Urkundenfälschung und Leistungsmissbrauch. Die meisten kriminellen Handlungen waren hierbei im Leistungsbereich der Pflegeversicherung zu verorten.

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Im Gesundheitswesen gibt es vereinzelt Leistungserbringer, Arbeitgeber und Versicherte, die systemisch bedingte Intransparenzen und Schwachstellen zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Während sich der allergrößte Teil an Recht und Gesetz hält, finden sie Einfallstore, um sich zu bereichern. Genau hier setzt die Arbeit der Stelle für Fehlverhaltensbekämpfung im Gesundheitswesen an. In der rückwirkenden Zwei-Jahres-Betrachtung fällt besonders auf: Die Zahl der Hinweise hat um 17 Prozent zugenommen – 2022/23 waren es erstmals mehr als 1.000 (genau: 1.115). Allerdings bestätigten sich nicht alle Hinweise. Zahlreiche kommen von der Polizei und den Staatsanwaltschaften. Auch gab es in diesem Zeitraum mehr verfolgte Neufälle: Insgesamt 650 und damit 18 Prozent mehr als 2020/21. In der aktiven Bearbeitung befanden sich jedoch über 1.000 Fälle, denn mitunter dauert es mehrere Jahre, bis ein Verfahren komplett abgeschlossen ist.

Schäden und Tatbestände

Betrachtet man das Ranking der betroffenen Leistungsbereiche, liegt die Pflegeversicherung ganz vorne (200 Neufälle, 266 verfolge Fälle gesamt). Auch Heilmittel (121/156), Häusliche Krankenpflege (81/134) sowie Arznei- und Verbandmittel (53/111) fallen auf. Die Verursacher sind demzufolge Institutionen, die die genannten Leistungen erbringen, zum Beispiel Pflegedienste oder auch Apotheken, ebenso Arbeitgeber und Versicherte. Die größten Schäden wurden in den Bereichen Fahrkosten und Häusliche Krankenpflege festgestellt, es handelt sich jeweils um fast 1 Mio. Euro. Dem Gesamtschaden von 3,5 Mio. Euro stehen gesicherte Forderungen in Höhe von 3,3 Mio. Euro gegenüber, die gerichtlich oder außergerichtlich durchgesetzt werden konnten. Bei den Tatbeständen zeigt sich wiederum folgendes Bild: Bei 519 Fällen in den Jahren 2022/23 ging es um die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen. In weiteren 178 Fällen handelte es sich um Urkundenfälschung, auch wurden Leistungen ohne vertragsgemäße Qualifikation in 234 Fällen festgestellt. In 345 Fällen gab es einen nachgewiesenen Leistungsmissbrauch durch Versicherte.

Konkrete Fallbeispiele aus den Jahren 2022/23

Gefälschte Berufsurkunden in der Intensivpflege

Ein Pflegedienst setzte bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten in der Intensivpflege Personal mit gefälschten Berufsurkunden ein. Auf den Urkunden war auffällig, dass kein Landeswappen, wie sonst üblich, aufgedruckt war. Bei fast der Hälfte der Mitarbeitenden des Pflegedienstes waren die Urkunden gefälscht, es handelte sich somit gar nicht um Fachkräfte. Es wurde daraufhin dafür gesorgt, dass diese Personen nicht mehr praktisch tätig sind, zumal auch Pflegemängel festgestellt wurden. Die beschuldigte Inhaberin bestritt, von den Fälschungen gewusst zu haben. Das Strafverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Fingierte Beschäftigungsverhältnisse und erfundene Lohnfortzahlungen

Es bestand der Verdacht, dass durch die Lohnbuchhaltung eines Arbeitgebers so genannte AAG-Erstattungen (Ausgleich der Arbeitgeberaufwendun­gen bei Entgeltfortzahlung) beantragt wurden, ohne dass die in den Anträgen angegebenen Entgeltfort­zahlungen tatsächlich geleistet worden waren. Tatsächlich lag auch keine Arbeitsunfä­higkeit bei den Beschäftigten vor. Weiterhin gab es Hinweise darauf, dass sowohl die Firmeninhaber und Geschäftsführer als auch deren Familienangehörige zu Unrecht als Beschäftigte verschiedener Firmen angemeldet wurden. Hierfür konstruierte der Lohnbuchhalter ein ganzes Netzwerk von Firmen, welche er betreute. Für diese Beschäftig­ten wurden dann unberechtigt weitere Lohnersatz­leistungen wie Krankengeld oder Mutterschaftsgeld unrechtmäßig bezogen.

Rückwirkend beantragte Verhinderungspflege, die nie stattgefunden hat

36 Anträge auf Verhinderungspflege wurden für verschiedene Versicherte rückwirkend für mehrere Jahre gestellt. Die Formulare waren allesamt identisch ausgefüllt von einer bevollmächtigten Person, doch gab es Überschneidungen mit bereits erstatteten Leistungen. Ebenso fiel auf, dass die angegebenen Ersatzpflegepersonen gleichzeitig an zwei Orten bei verschiedenen Klientinnen und Klienten gewesen sein müssten. Das Verfahren ist noch bei einer Staatsanwaltschaft in Hessen anhängig.

Manipulierte Abrechnungsunterlagen bei Betreuungsleistungen

Ein Dienstleister für Betreuungs- und Entlastungsleistungen hatte bei der Rechnungsstellung Abrechnungsunterlagen manipuliert. Hierbei handelte es sich zum Beispiel um Leistungen der Haushaltsführung oder Unterstützung im Alltag pflegebedürftiger Menschen. Eine Versi­cherte gab an, dass der beauftragte Dienstleister Zeiten abgerechnet habe, in denen sie im Kranken­haus war. Weiterhin wurden mehr Leistungsstunden aufgeschrieben als tatsächlich erbracht, darüber hinaus wurden Unterschriften gefälscht.

Zahlen der AOK Hessen aus den Jahren 2022/23

Verteilung der Tatbestände (Auswahl; genannt wird die Fallzahl)

Abrechnung nicht erbrachter Leistungen: 519

Leistungsmissbrauch: 345

Abrechnung erbrachter Leistungen ohne Qualifikation: 234

Urkundenfälschung: 178

Festgestellte Schäden (Auswahl; Beträge sind gerundet)

Fahrkosten: 991.600 Euro

Häusliche Krankenpflege: 958.000 Euro

Arznei- und Verbandmittel: 512.000 Euro

Hilfsmittel: 351.000 Euro

Pflegeversicherung: 312.000 Euro