Erstmals wird der größte Kongress für Intensiv- und Notfallmediziner im deutschsprachigen Raum komplett virtuell stattfinden. Der Einladung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) folgen traditionell im Dezember jeden Jahres bis zu 6.000 Teilnehmer. „Dieses Jahr wird alles anders – aber mindestens genauso spannend und informativ wie gewohnt. Ich freue mich wirklich sehr, dass wir in diesem Corona-Jahr erstmals ein umfassendes Angebot digital abbilden können“, sagt DIVI-Kongresspräsident Professor Eckhard Rickels (Foto). Im Interview spricht er jetzt darüber, was die Kongressteilnehmer vom 2. bis 4. Dezember in rund 170 Veranstaltungen online erwartet, das Vertrauen in die Wissenschaft und einen möglichen Paradigmenwechsel in der Krankenhauslandschaft durch COVID-19. Herr Professor Rickels, was ging Ihnen durch den Kopf, als die Absage des physischen Kongresses beschlossen wurde? Zuerst einmal war ich natürlich enttäuscht – unser Kongress ist schließlich eine der wichtigsten Veranstaltungen für alle Berufsgruppen in der Intensiv- und Notfallmedizin. Doch in diesem unkalkulierbaren Corona-Jahr ist die Absage des Events im Congress Center Hamburg völlig logisch. Im Team haben wir aber schon direkt danach überlegt, wie wir für alle passende Alternativen schaffen können. Eine Komplettabsage war keine Option, vielmehr begreifen wir die Situation auch als Chance, das Know-how auf anderen Wegen weiterzugeben und etwas Neues aufzubauen. Schließlich stehen uns dafür mittlerweile fantastische technische Möglichkeiten zur Verfügung. Wie hat Corona Ihre Einstellung zu digitalen Fortbildungen geändert? Anfangs war ich skeptisch, ob das überhaupt funktionieren kann. Schließlich gehöre ich doch eher zu jenen, die seit Jahrzehnten Präsenzkurse besuchen. Dann habe ich aber selbst in die ersten digitalen Veranstaltungen reingeschnuppert, einen virtuellen Kongress besucht, mich mit den Präsentationsmöglichkeiten auf Online-Plattformen vertraut gemacht – und bin mittlerweile richtig begeistert. Wer seine Präsentation zudem live hält – und nicht nur ein Video abspielt –, der kann auch mit seinen Zuhörern interagieren und diese begeistern. Sicher gehört auch eine Portion Selbstdisziplin dazu und die Möglichkeiten des persönlichen Austausches unter den Teilnehmern sind eher begrenzt. Aber auch dafür gibt es mittlerweile verschiedene Diskussions-Foren und Chat-Formate, die wir auch beim DIVI-Kongress einbinden werden. Es gilt, sie zu nutzen. Wie müssen wir uns diese Formate genau vorstellen? Letztendlich werden beispielsweise die einzelnen Symposien genauso von einem Vorsitzenden moderiert, wie wir das von herkömmlichen Veranstaltungen kennen. Teilnehmer können dann beispielsweise schon während der Präsentation offene Fragen an die Symposien-Leiter übermitteln. Zudem planen wir ein kleines TV-Studio einzurichten – von dort sollen verschiedene Veranstaltungen moderiert werden. An den genauen Details zum Programm arbeiten wir derzeit. Welche Programmdetails können Sie uns jetzt schon verraten? Verraten kann ich jetzt schon, dass es am Vorabend, also am 1. Dezember, eine virtuelle Eröffnungsveranstaltung geben wird. Mit hochkarätigen Keynote-Speakern sind wir derzeit im Austausch. Zudem sollen fast alle Programmpunkte, die wir ursprünglich geplant hatten, ins virtuelle Umfeld übernommen werden. Hier haben viele Experten, die Programmdirektion und alle DIVI-Sektionen ordentlich zugearbeitet. Insgesamt sprechen wir von mehr als 100 Symposien, 15 Pro/Con-Sitzungen, etwa 16 Pflegesymposien und 19 Fortbildungsveranstaltungen. Insbesondere Nachwuchswissenschaftler werden zahlreiche E-Poster präsentieren. Hier ist aber auch noch etwas Bewegung in der Programmgestaltung. Zudem hoffe ich, dass wir auch etwa zehn Hands-on-Kurse digital abbilden können. Es wird darüber hinaus Live-Diskussionen geben, wir planen ein Simulationstraining und werden natürlich einen eigenen Corona-Strang in das Programm einbauen, der voraussichtlich acht weitere Programmpunkte enthalten wird. Und wie soll die doch sehr gefragte Industrieausstellung in diesem Jahr stattfinden? Auch hierfür überlegen wir uns passende Formate, in denen sich jeder einzelne Aussteller wiederfindet. In dem Punkt sind aber auch die Aussteller selbst gefordert. Einfach nur einen virtuellen Stand mit Link zum Unternehmen reicht sicher nicht aus. Personaleinsatz ist gefordert. Wie bei einem klassischen Kongress wird es bei der virtuellen Version Pausen geben – in denen sollten die Vertreter der Industrieaussteller live ansprechbar sein. Zudem wird es wie gewohnt passende Industriesymposien geben, bei denen es keine konkurrierenden Parallelveranstaltungen geben wird. Wann konkret können wir mit einer Programmvorstellung rechnen? Das finale Programm soll im Laufe des Julis vorgestellt werden. 95 Prozent der Inhalte stehen bereits fest. Es sind jetzt vor allen noch organisatorische Details zu klären. Wir werden dann auch aktiv auf interessierte Industrieaussteller zugehen und die Details erläutern. Sobald die Online-Anmeldung offen ist, werden wir darüber informieren. Um noch konkreter zu werden: Mit welchen Teilnahmegebühren ist zu rechnen? Wir haben scharf kalkuliert, weil wir unter der 100-Euro-Grenze liegen wollten. Das teuerste Ticket wird bei 95 Euro liegen, DIVI-Mitglieder zahlen 60 Euro – für alle drei Kongresstage. Pflegemitarbeiter, Rettungsassistenten, Sanitäter und Therapeuten zahlen 60 Euro – bei DIVI-Mitgliedschaft lediglich 45 Euro. Studenten werden kostenfrei zum Kongress zugelassen. Außerdem erhalten Abstract-Erstautoren 50 Prozent Rabatt auf die Anmeldegebühr. Ich glaube, dass bei diesem Angebot wirklich jeder dabei sein kann. Dabei sein heißt für mich aber auch wirklich, dabei zu sein! Sprich: Mal eben zwischen zwei Visiten eine Session anzugucken, ist sicher nicht sinnvoll. Wer am virtuellen DIVI-Kongress teilnimmt, sollte sich auch die drei Tage dafür Zeit nehmen. Zusätzlich werden aber auch sämtliche Inhalte des Kongresses noch ein Jahr lang online abrufbar sein. Welche Themenbreite lässt sich denn in diesen drei Tagen abbilden? Wir werden wie immer alle Facetten der gesamten Intensiv- und Notfallmedizin darstellen, in denen es aktuelle Entwicklungen und vor allem Neuigkeiten zu berichten gibt. Und mit Blick auf die Corona-Pandemie sind dies in diesem Jahr nochmal deutlich mehr Aspekte, die zu unseren ursprünglichen Planungen aufgenommen worden sind. Alle Vorschläge aus den einzelnen DIVI-Sektionen, die sich mit Symposien beteiligen wollten, haben wir berücksichtigen können. In unserem speziellen Corona-Strang wird es darum gehen, was wir aus der Pandemie gelernt haben – und was dies für die Krankenhauslandschaft in Zukunft bedeuten wird. Anhaltende Strömungen, die Medizin vollkommen zu ökonomisieren, sind durch die Corona-Pandemie konterkariert worden. COVID-19 bringt einen Paradigmenwechsel. Das Kongressmotto „Wissen schafft Vertrauen“ könnte also passender gar nicht sein, oder? Als wir das Motto vor mehr als einem Jahr festgelegt haben, war COVID-19 noch kein brennendes Thema. Der Kongress hat eine deutliche Ausstrahlungskraft und diese wollen wir nutzen, um klar zu sagen: Je mehr wir wissen und je besser wir informiert sind, desto eher schaffen wir es, dass uns die Patienten umfassend vertrauen. Die Corona-Pandemie ist da ein passendes Beispiel. Alle in der Intensiv- und Notfallmedizin tätigen Menschen haben in den vergangenen Monaten unglaubliches geleistet – das Vertrauen der Bevölkerung in die Schulmedizin ist in dieser Zeit deutlich gewachsen. In welchen Bereichen befürchten Sie denn noch zu wenig Wissen – und damit vielleicht mangelndes Vertrauen? Wer am DIVI-Kongress teilnimmt, wird nach drei Tagen in allen Bereichen der Intensiv- und Notfallmedizin auf dem aktuellen Stand sein. Hier gibt es dann weder Wissenslücken noch einen Grund, diesem Know-how nicht vertrauen zu können. Aber Wissenschaft bedeutet eben auch im wörtlichen Sinne, mehr Wissen zu schaffen. Und das gelingt durch immer bessere Forschung. Noch haben wir keine geeignete Therapie für eine COVID-19-Immunität, noch wissen wir nicht genau, ob die Isolation von einzelnen Landkreisen oder Wohnhäusern hilft, die Pandemie einzudämmen. Vieles spricht dafür, aber die Wissenschaft muss das genau herausfinden und lückenlos belegen. Auch müssen wir definieren, wie viele Betten zukünftig in Deutschland vorgehalten werden sollten. Willkürliche Festlegungen bringen uns nicht weiter. Hier suchen wir dann zudem das Gespräch mit der Politik – dafür bietet der DIVI-Kongress den passenden Rahmen. Was sind die nächsten wichtigen Schritte für den virtuellen DIVI-Kongress? Wir werden in den kommenden Wochen das Programm finalisieren und dann die neue Kongress-Website online schalten – das ist sicher einer der wichtigsten Punkte im Juli und August. Wer den Newsletter der DIVI abonniert hat, wird über alle Schritte am schnellsten informiert. Und dann würde ich mich persönlich freuen, wenn wir mit unserem Programm mindestens jene 6.000 Teilnehmer gewinnen, die auch die Reise nach Hamburg geplant hätten. Ich bin unglaublich stolz auf alle Aktiven, die sich in den vergangenen Wochen intensiv für den DIVI-Kongress eingesetzt haben und wirklich in kürzester Zeit eine digitale Alternative erarbeitet haben. Das ist großartig. Ich bin überzeugt, dass der virtuelle DIVI-Kongress ein Novum für alle Teilnehmer darstellt. |