AOK

Krankenkassen nicht ausbluten lassen

Verwaltungsrat der AOK Hessen kritisiert GKV-Finanzstabilisierungsgesetz aufs Schärfste / Beitragszahlende einseitig belastet

Kein gesetzliches Vorhaben des Bundesministeriums für Gesundheit hat in den vergangenen Jahren so viel Kritik geerntet wie das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz.  Der Verwaltungsrat der AOK Hessen stellt in einer aktuellen Erklärung fest: Der Gesetzentwurf destabilisiert die Gesetzliche Krankenversicherung finanziell und konterkariert damit seinen Namen.

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„Das Gesetz muss dringend nachgebessert werden. Der Bund wird seiner Finanzierungsverantwortung nicht gerecht. Die GKV blutet finanziell aus. Das gefährdet auf Dauer eine gute Gesundheitsversorgung“, kommentiert André Schönewolf, alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrates das Gesetz. Dr. Stefan Hoehl, ebenfalls alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrates, weist auf die inakzeptable Belastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler hin. „In der aktuellen wirtschaftlichen Situation sollten Versicherte und Unternehmen nicht durch steigende Beitragssätze zusätzlich belastet werden. Im Gegenteil – die Sozialversicherungsbeiträge müssen nachhaltig stabilisiert werden.“ Beide stellen fest, dass die Selbstverwaltungs- und Finanzautonomie der Krankenkassen durch den Gesetzentwurf in Frage gestellt wird.

Die Erklärung des Verwaltungsrates der AOK Hessen im Wortlaut:

Politik destabilisiert die Gesetzliche Krankenversicherung /

Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz

Das sogenannte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz führt nicht zu einer Stabilisierung der GKV – im Gegenteil es destabilisiert diese. Durch einen erneuten Zugriff auf die kasseneigenen Finanzreserven sinken die zur Verfügung stehenden Finanzmittel auf 5 bis 6 Tagesausgaben. Unerwartete Ausgabensteigerungen, z.B. pandemiebedingt, können damit kaum noch abgefedert werden. Gleichzeitig dürfen sich die Krankenkassen nicht verschulden und sind insolvenzfähig. Das ist eine gefährliche Mixtur in unsicheren Zeiten, in denen doch gerade die sozialen Sicherungssysteme Sicherheit geben sollten. Stattdessen drohen den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur zum Jahreswechsel Beitragssatzerhöhungen, sondern auch unterjährig. Im schlimmsten Fall drohen sogar Insolvenzen einzelner Krankenkassen.

Gesetzentwurf muss geändert werden

Leider hat sich auch nach der massiven Kritik am Entwurf des GKV-Finanz-stabilisierungsgesetz und den Debatten in Bundestag und Bundesrat nichts Wesentliches an den vorgesehenen Regelungen geändert. Zwar wurden diverse, konstruktive Änderungsvorschläge vom Bundesrat aufgegriffen. In dessen Stellungnahme heißt es: „Der Bundesrat hält insbesondere den Rückgriff auf die Reserven der gesetzlichen Krankenkassen für ungeeignet, eine langfristige Stabilisierung der GKV-Finanzierung zu sichern. Er sieht vielmehr die Gefahr einer langfristigen Destabilisierung und fordert den Bund insbesondere zu kostendeckender Finanzierung von durch die GKV übernommenen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben auf.“

Bei der Bundesregierung und im Bundestag zeichnet sich aber bislang nur wenig Bewegung ab. Während in anderen Bereichen erhebliche staatliche Unterstützungen beschlossen wurden, wird die gesetzliche Krankenversicherung finanziell ausgeblutet und gleichzeitig kommen auf die Beitragszahlenden zusätzliche Kosten zu.

Eingriff in die Finanzautonomie verfassungswidrig

Darüber hinaus kommt ein Gutachten von Professor Stephan Rixen (Universität zu Köln) zu dem Ergebnis, dass ein staatlicher Zugriff auf die Finanzreserven der Krankenkassen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Rücklagenzugriff verletze das rechtsstaatliche Willkürverbot, indem die Finanzautonomie der selbstverwalteten Krankenkassen missachtet wird und deren finanzielle Stabilität und Funktionsfähigkeit gefährdet werden. Die in der Folge notwendigen Anhebungen der Zusatzbeiträge verletzen überdies die Grundrechtsposition der GKV-Versicherten. Zudem: Gegen die Zwangsvermögensabgabe aus dem Jahr 2021 – damals hieß es, diese würde wegen der coronabedingten Ausnahmesituation einmalig umgesetzt – haben mehrere Krankenkassen Klage erhoben. Das Urteil hierzu steht noch aus.

Alternativen vorhanden

Nicht akzeptabel ist zudem, dass die für das Jahr 2023 prognostizierte Finanzlücke weitestgehend die Beitragszahlenden schultern sollen. Denn zusätzlich zum gesetzlichen Zugriff auf die Reserven der Krankenkassen in Höhe von rund vier Mrd. Euro sollen sie ab 2023 auch höhere Zusatzbeiträge zahlen. Dabei gibt es Alternativen. Der Staat muss endlich seinen Verpflichtungen nachkommen und die Ausgaben, die den Krankenkassen dadurch entstehen, dass sie originäre staatliche Aufgaben übernehmen, vollständig ausfinanzieren. Allein für die gesundheitliche Versorgung der ALG-II-Beziehenden erhalten die Krankenkassen vom Staat pro Jahr rund elf bis zwölf Mrd. Euro weniger aus Steuermitteln, als sie für deren Versorgung ausgeben müssen. Hierauf hat der Bundesrat zu Recht hingewiesen. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, warum für Tierfutter und Blumen der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt, für lebenswichtige Medikamente aber der volle Mehrwertsteuersatz fällig wird. Durch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arznei- und Hilfsmittel von 19 Prozent auf sieben Prozent könnte ein Einsparvolumen von ca. fünf Mrd. Euro erzielt werden.

Und schlussendlich braucht es zwingend grundlegende Reformen, die zum einen auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung des Bundes für die Stabilität der GKV und zum anderen auf strukturelle und wirtschaftliche Verbesserungen bei der Erbringung der Leistungen der Gesundheitsversorgung abstellen.

Wir fordern den Gesetzgeber dringend auf, den Gesetzentwurf in diesem Sinne zu korrigieren.

Der Verwaltungsrat der AOK Hessen

Der Verwaltungsrat ist das oberste Beschlussorgan der AOK Hessen, vertritt die Interessen der Beitragszahlenden und wird alle sechs Jahre im Rahmen der Sozialwahl gewählt. Er besteht aus 30 ehrenamtlichen Mitgliedern der Versicherten- und Arbeitgeberseite. Zu seinen Kernaufgaben gehört u.a. die Verabschiedung des Haushaltes der Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Entscheidung über Fragen von grundlegender Bedeutung. Das Haushaltsvolumen in der Kranken- und Pflegeversicherung der AOK Hessen betrug 2021 8,2 Mrd. Euro. Die größte Krankenversicherung in Hessen versichert über 1,7 Mio. Menschen.