AOK

Pflege: Erhebliche Qualitätsunterschiede auch in Hessen

Neuer AOK-Versorgungsatlas macht auf Defizite aufmerksam

Eine Auswertung der AOK-Abrechnungsdaten macht jetzt transparent, dass die Versorgungsqualität an der Schnittstelle von Medizin und Pflege in Hessen erheblich variiert. So lag der Anteil an Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner, die 2021 unter einem schmerzhaften Druckgeschwür (Dekubitus) litten, im Vogelsbergkreis bei über 13 Prozent – im Landkreis Offenbach dagegen bei unter acht Prozent. Ein ähnliches Bild ergibt sich hinsichtlich der problematischen Dauerverordnung von Beruhigungs- und Schlafmitteln bei dementiellen Erkrankungen. Während im Landkreis Marburg-Biedenkopf 2021 fast zehn Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner eine entsprechende Dauerverordnung erhielten, waren es in Darmstadt nicht einmal drei Prozent.

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„Die längerfristige Einnahme dieser Medikamente durch ältere Menschen im Heim birgt erhebliche Risiken und kann zu einer deutlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führen. Viele Studien zeigten, dass beispielsweise die Sturzgefahr deutlich steigt und dass die Schlaf- und Lebensqualität negativ beeinflusst wird“, betont Dr. Isabella Erb-Herrmann, Vorstandsmitglied der AOK Hessen. „Die Auswertung der Verordnungsdaten macht deutlich, dass hier ein ernsthaftes Versorgungsproblem besteht, das regional sehr unterschiedlich ausgeprägt ist.“ Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat die Ergebnisse von Auswertungen zu insgesamt zehn untersuchten Versorgungsthemen jetzt im Online-Portal „Qualitätsatlas Pflege“ veröffentlicht. Die AOK Hessen fordert aus Anlass der Veröffentlichung, Auswertungen von Abrechnungsdaten der Kranken- und Pflegekassen künftig zur Weiterentwicklung der medizinischen und pflegerischen Versorgung zu nutzen.

Große Spanne bei Klinikeinweisungen in den letzten Lebenstagen

Deutliche regionale Unterschiede zeigten sich auch bei weiteren analysierten Themen: So hatten laut der Auswertung fast 54 Prozent aller Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen im Werra-Meißner-Kreis 2021 einen Krankenhausaufenthalt in ihren letzten 30 Lebenstagen. Im Main-Taunus-Kreis waren es dagegen nur 35 Prozent. „Der Qualitätsatlas Pflege macht derartige Informationen zu Problemen an der Schnittstelle zwischen Pflege und Gesundheitsversorgung erstmals kleinräumig sichtbar“, so Isabella Erb-Herrmann. Das neue Portal biete den Kranken- und Pflegekassen, aber auch den Verantwortlichen in den Regionen ab sofort die Chance, regionale Auffälligkeiten zu erkennen und gezielt anzugehen.              

Zeitreihen geben weitere Einblicke

Die WIdO-Analysen für den Pflege-Report beruhen auf den Abrechnungsdaten der elf AOKs, die rund ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland versichern. Dabei wurden die Daten aus der Kranken- und aus der Pflegeversicherung einbezogen und miteinander verknüpft. Insgesamt sind deutschlandweit die Daten von rund 350.000 Pflegeheim-Bewohnerinnen und -Bewohnern ab 60 Jahren eingeflossen. Im Online-Portal „Qualitätsatlas Pflege“ des WIdO sind die Ergebnisse für die einzelnen Bundesländer und für die rund 400 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland im regionalen Vergleich dargestellt. Die Ergebnisse zu den zehn betrachteten Themen können auch als Zeitreihen für die Datenjahre 2017 bis 2021 betrachtet werden. „Hier zeigen sich für Hessen  durchaus positive Entwicklungen – zum Beispiel bei den Krankenhaus-Aufenthalten von Pflegeheim-Bewohnerinnen und -Bewohnern wegen mangelnder Flüssigkeitsgabe“, berichtet Erb-Herrmann. So sank der Anteil der Menschen, die aus diesem Grund ins Krankenhaus mussten, von 5,19 Prozent im Jahr 2017 auf 4,37 Prozent im Jahr 2021. Damit lag Hessen auch 2021 allerdings noch immer deutlich über dem Bundesschnitt (3,75 Prozent).

Qualitätsatlas Pflege beleuchtet insgesamt zehn Indikatoren

Neben Dekubitus, der Dauermedikation mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln, den Krankenhauseinweisungen von Demenzkranken aufgrund von Flüssigkeitsmangel und den vermeidbaren Krankenhausaufenthalten am Lebensende werden im Qualitätsatlas sieben weitere Themen betrachtet. Dies sind die fehlende augenärztliche Vorsorge bei Diabetes, die Dauerverordnung von Antipsychotika bei Demenz, die gleichzeitige Verordnung von neun oder mehr Wirkstoffen, der Einsatz von für ältere Menschen ungeeigneter Medikation, die Häufigkeit besonders kurzer Krankenhausaufenthalte von bis zu drei Tagen sowie vermeidbare Krankenhausaufenthalte aufgrund von Stürzen.

AOK: Routinedaten für bessere Versorgung nutzen

Aus Sicht der AOK können Routinedaten-Auswertungen die bisherigen Aktivitäten zur Verbesserung der Versorgung von pflegebedürftigen Menschen sinnvoll ergänzen. Auch für die Weiterentwicklung des internen Qualitätsmanagements der Pflegeeinrichtungen und der gesetzlichen Qualitätssicherung in der Pflege sollten diese Auswertungen genutzt werden. „Mithilfe dieser ohnehin vorliegenden Daten lassen sich wichtige Aspekte der pflegerischen und gesundheitlichen Versorgung in den Pflegeheimen ohne zusätzlichen Erfassungsaufwand für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Heimen abbilden“, betont Erb-Herrmann. Die Routinedaten-Auswertungen hätten den Vorteil, dass sich damit auch Schnittstellen zur Gesundheitsversorgung beleuchten lassen, zu denen es bisher keine systematischen und regelmäßigen Auswertungen gibt. „Die Auswertungen können als Grundlage für eine gute Zusammenarbeit zwischen den Pflegeeinrichtungen, den behandelnden Ärztinnen und Ärzten und Kliniken dienen“. Es sei „absolut sinnvoll“, das Potenzial dieser Daten zu nutzen, um die Versorgungsangebote vor Ort weiterzuentwickeln, so Isabella Erb-Herrmann.  Bisher scheitere dies oft an den Sektorengrenzen in der Versorgung. Die AOK Hessen setze sich dafür ein, die Handlungsmöglichkeiten der regionalen Akteure für regionale Versorgungsangebote zu verbessern.

Atlas soll Verbesserung regionaler Strukturen und Rahmenbedingungen anstoßen

Der Qualitätsatlas Pflege des WIdO richtet sich daher im ersten Schritt vor allem an die Akteure vor Ort. Er zeigt konkrete Ansatzpunkte für die Verbesserung der Versorgung auf. „Indem wir die großen regionalen Unterschiede sichtbar machen, wollen wir die Aufmerksamkeit für die Schnittstellen-Probleme zwischen Pflege und Gesundheitsversorgung erhöhen und Verbesserungen der regionalen Strukturen und Rahmenbedingungen anstoßen“, erklärt Antje Schwinger, Forschungsbereichsleiterin Pflege beim WIdO. Eine Ausweitung der Datenauswertungen auf die Arbeit von ambulanten Pflegediensten sei möglich und müsse ebenfalls angegangen werden.

Zum Qualitätsatlas Pflege: www.qualitaetsatlas-pflege.de

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